Spaltung der Gesellschaft
Michael Hartmann sprach über die Haltung der Eliten zur sozialen Ungleichheit
15. Juli 2013, Kulturwerk Stuttgart
„Was man gegen die Spaltung der Gesellschaft tun kann“ war der Titel eines Vortrags des bekannten Eliten-Forschers Prof. Dr. Michael Hartmann. Hartmann, der an der Technischen Universität Darmstadt lehrt, sprach im Kulturwerk. Eingeladen hatten ihn die Denkfabrik des Sozialunternehmens NEUE ARBEIT gGmbH und der Lions Club Stuttgart.
Im ersten Teil des Vortrags beschrieb Hartmann noch einmal die gesellschaftliche Spaltung: „Einen Zuwachs von Realeinkommen gab es in den letzten Jahren nur in den oberen 2/10 der Gesellschaft. Im unteren Teil gab es Reallohnverluste bis 22 Prozent. Dazwischen dünnt die Mittelschicht aus.“ Auch in der Mittelschicht gäbe es bestenfalls eine Stabilität bei den Reallöhnen, in den meisten Fällen aber eher Verluste. „Die guten Arbeitsmarktzahlen täuschen über die working poor hinweg“, so Hartmann. So seien im Einzelhandel 1/3 der Beschäftigten Aufstocker. Auf Dauer könnten somit auch Firmen, die einen normalen Lohn zahlen wollen, nicht mithalten.
Auf der anderen Seite würden Wohlhabende massiv entlastet. „Die 65 reichsten Deutschen konnten ihre reale Steuerlast von 48,2 Prozent auf 28 Prozent senken.“ Hartmann ließ keinen Zweifel daran, dass die Entwicklung politisch gewollt war. Mit den Hartz-Gesetzen sei ein massiver Niedriglohnsektor geschaffen worden, gleichzeitig habe es für Wohlhabende massive Steuererleichterungen gegeben.
Die Eliten wissen nichts über die Armut
Um die Gründe für diese Entwicklung ging es im zweiten Teil. „Die Eliten nehmen die Wirklichkeit anders wahr als die Randgruppen. Sie kennen deren Wirklichkeit nicht und haben mit Armut nichts zu tun. Auf Basis ihrer eigenen Erfahrung trifft die Mehrheit der Eliteangehörigen Entscheidungen, die auf Kosten der Armen gehen“, so Hartmann. Während der große Teil der Gesellschaft die bestehende Ungleichheit als ungerecht empfindet und politische Veränderungen wünscht, sehen die Eliten den derzeitigen Zustand als gerecht an. „Diese Ansichten hängen massiv von der Herkunft ab“, so Hartmann. Und weil die Eliten sich hauptsächlich aus sich selbst rekrutieren, gäbe es dabei kaum Veränderungen.
Bevor Hartmann in die Details ging, gab er erst einmal eine Definition des Begriffs Elite: „Zur Elite zählen alle Personen, die die gesellschaftliche Entwicklung durch ihre Position maßgeblich beeinflussen können.“ Dazu zählen etwa Minister, Partei- und Fraktionsvorsitzende, Ministerpräsidenten, die Vorstandvorsitzenden großer Banken und Industrieunternehmen, die Chefredakteure der wichtigen Medien, die Chefs der Gewerkschaften und der Wissenschaftsorganisationen, aber auch Bundesrichter und die Führungsebene der Bundeswehr. Insgesamt umfasse die Elite in der Bundesrepublik 4000, die Kernelite 1000 Personen.
Die Mehrheit findet die Verhältnisse ungerecht, die Eliten nicht
Diese Kernelite hat Hartmann in einer Studie ausführlich befragt. Dabei zeigte sich, dass sie die Politik der letzten Jahrzehnte weitgehend gutheißt und deren Fortsetzung fordert. Während der Großteil der Bevölkerung die Frage nach höheren Steuern auf Einkommen, Vermögen und Erbschaften positiv beantwortet, lehnen die Eliten sie im Verhältnis 2 zu 1 ab. Ähnlich sieht es bei Fragen zum Mindestlohn oder zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes aus. Insgesamt finden 75 Prozent der Befragten die sozialen Verhältnisse in Deutschland ungerecht, bei den Eliten sind es nur 43 Prozent.
Unterschiede bei den Eliten zeigen sich jedoch, wenn man die jeweilige Herkunft betrachtet. So wird der Mindestlohn von Eliteangehörigen, die aus Arbeiterfamilien stammen, mit deutlicher Mehrheit (fünf zu zwei) für wichtig gehalten, Kinder aus Bürgertum und Großbürgertum lehnen ihn dagegen mit großer Mehrheit (neun zu zwei) ab. Die Differenz zeigt sich auch bei anderen Fragen. Nach Ansicht von Hartmann ist sie durch den mühevollen Aufstieg aus den unteren Schichten zu erklären. „Arbeiterkinder können sich schlicht und einfach besser in die Lage von Beschäftigten hineinversetzen, die zusehen müssen, wie sie mit ihrem relativ geringen Gehalt sich selber oder gar ihre Familien über Wasser halten.“ Allerdings ist ihr Einfluss gering: „Je mächtiger die Positionen sind, desto weniger Menschen aus der Mittelschicht oder aus Arbeiterfamilien gibt es.“
„Ohne Druck ändert sich nichts“
Knapp fiel die Antwort auf die Frage aus: „Was kann man gegen die Spaltung der Gesellschaft tun?“ „Man kann der Spaltung der Gesellschaft entgegenwirken, indem man politische Beschlüsse, die seit der Jahrtausendwende getroffen worden sind, zurücknimmt“, so Hartmann. Allerdings gelte: „Man kann nicht darauf hoffen, dass es per Einsicht besser wird.“ Stattdessen müsse man die Themen immer wieder in die Öffentlichkeit bringen. Außerdem müsse man Druck auf und über die Gewerkschaften und Parteien machen und die Wahlen nutzen. „Es ist tragisch, dass das untere Drittel der Gesellschaft sich zurückzieht“, meint Hartmann, etwa wenn es um Wahlen geht. „Das trägt dazu bei, dass sich nichts ändert.“ Die Politik sei trotzdem der richtige Ansatzpunkt. Zwar seien alle zentralen Ministerien mit Bürger- oder Großbürgerkindern besetzt. Dennoch sei die Politik im Vergleich zur Wirtschaft noch relativ durchlässig. Deshalb sei es wichtig, die Politiker immer wieder mit Betroffenen und den relevanten Themen zusammenzubringen.
Insgesamt brauche man einen langen Atem und viel Geduld. Hartmann erinnerte an die Anti-Atombewegung, die in den 70er Jahren die Grundlage für den viel später beschlossenen Ausstieg legte. „Ohne Organisierung und dauerhafte Kontakte geht nichts“, so sein Fazit.
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